Nebra - Sky - Diskurs
Nebra - Sky - Diskurs

 

Erkenntnistheoretische Grundlagen für die Konstruktion der Himmelsscheibe.

. Die Erfahrungsgrundlagen der Konstrukteure

 

                Wir modernen Menschen leben und handeln in unserem heliozentrischen Weltbild, dessen ausschließlicher Mittelpunkt  die Sonne ist. Dieses System ist für uns nicht sichtbar, sondern lediglich durch gedankliche Abstraktion „erfahrbar“. Dadurch werden wir losgelöst von unserem geozentrischen Erfahrungsraum, in den wir mit unserer Körperlichkeit und unseren Sinnen eingebettet sind, der uns geformt und mit seinen Erscheinungen  „informiert“ hat. Die Jahrhunderte währende geistige Entfremdung von unserer natürlichen Umwelt, d. h. von unserer subjektiven, geozentrischen Lebenserfahrung,  führt z. B. dazu, dass wir die Zeit kognitiv und  linear erleben, saisonale, klimatische  Bedingungen hingegen vorwiegend emotional entweder als störend oder angenehm bewerten.* Es ist auch kaum verwunderlich, dass der Verfasser vielen durchaus gebildeten Zeitgenossen begegnete, die über die Wandlungsphasen des Mondes und die nähere Himmelsmechanik nichts wissen. Die Würdigung des Mondes, der für das Leben auf der Erde die gleiche Bedeutung hat wie die Sonne, ist dem Menschen durch das mosaische Verbot, das goldene Kalb anzubeten**, gründlich abhandengekommen. Auch die Planeten, die einst alle mit den Namen von Göttern belegt wurden, sind wie diese aus dem alltäglichen Bewusstsein verschwunden, ja nicht einmal im Planetarium (sic!) der Arche Nebra werden sie erwähnt.

                Ganz anders war es hingegen bei unseren Vorfahren  der Stein- und Bronzezeit. Wir müssen uns deren Welt einmal  völlig ohne künstliches Licht vorstellen: Der Mensch braucht zum Leben und Wirken das Sonnenlicht, ohne das er nichts erkennen, ja sich kaum fortbewegen kann. Er war deshalb völlig dem Wechsel von Tag und Nacht unterworfen. Nachts war unten nichts zu sehen. Also konnte er seinen Blick nur zum Himmel hinauf wenden, wenn der denn klar war. Umso mehr gewannen dessen Erscheinungen, u. a. das Mondlicht, an Bedeutung, denn das  erleuchtete wenigstens partiell die Erde und gab Orientierung. Also zog der Mond nachts durch seine Prägnanz die Aufmerksamkeit auf sich und wurde gleichsam zum Objekt der Erkenntnis all seiner Erscheinungen und  Bedingungen, die er sogar mit in den Tag hineinträgt. Vor allem in den nördlicheren Breiten Europas, in denen die Unterschiede jahreszeitlicher Tageslängen besonders hervortreten, waren deren Wechsel  von lebenswichtiger Bedeutung. 

Das erwachende Bewusstsein der Menschen für Gegebenheiten, die über ihre Lebenssicherung hinausgingen, war eng mit der geozentrischen Welterfahrung verbunden und wurde von dieser geprägt. Das geistige Ausgreifen in die Welt und die Gestaltung des eigenen Lebensraumes musste sich zwangsläufig an den Ordnungen der Himmels und der Zeiten ausrichten und war von diesen geprägt. So rückte also nach der Sonne, die den täglichen „Broterwerb“ begleitete und dem Chaos der „zehntausend Dinge“, der Mond in den Fokus des müßigeren Lebens. Das führte notwendig zur Erkenntnis „übergeordneter“ Systeme.

 Nach angeborenen, grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung tritt das ins Bewusstsein, was sich verändert und bewegt. Jede Wahrnehmung wird im Raum und jede Erfahrung  in der Zeit zur „Gestalt“, das heißt zu einem integrierten Ganzen, das der Mensch mit Sinn erfüllt. So ist es leicht ersichtlich und von der Historie bestätigt, dass in einem kulturellen Schritt der Erweiterung des Bewusstseins der Mond die nächste geistige Herausforderung bilden konnte.

Sowohl dessen zunächst unverständliche Erscheinungen vor dem stets gleichbleibenden und in seiner gleichförmigen Bewegung  konstanten Sternenzelt  als auch  die Bewegungen der fünf sichtbaren Wandelsterne als Figuren vor dem kosmischen Hintergrund bildeten gleichzeitig den Antrieb und die Erfüllung der metaphysischen Triebstruktur des Menschen, sein innerstes Bedürfnis nach Erkenntnis der grundlegenden Bedingungen des Seins. Der Mond enthüllt  die immanente Ordnung des geozentrischen Himmels. Analog dazu führt sehr viel später, in einem nächsten kosmisch-kulturellen Entwicklungsschritt, schließlich das Rätsel der Planetenbewegung in Resonanz mit dem sich entwickelnden Geist zum heliozentrischen Weltbild.  Nicht umsonst waren sie göttliche Erscheinungen und der Mond galt im alten Ägypten als der Vermittler des Zählens und der Schrift.  Seine Bedeutung als Wegbereiter und Symbol geistiger Entwicklung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.      

 

 

* Bei anhaltenden, bereits Besorgnis erregenden Trockenperioden in unseren Breiten ist man  geneigt, diese als „schönes Wetter“ zu bezeichnen.

** 2. Mose, Kap. 32

 

     

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